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TEX RUBINOWITZ

Tex Rubinowitz about his series

"Stickstoff"

Irgendwann hatte mein Freund Daniel Spoerri seine Serie „Fadenscheinige Orakel“ abgeschlossen, und überließ mir seine löchrigen, ausgeweideten Wandschoner mit den Worten: „Nichts ist Abfall, mach was draus, bau etwas um die Löcher herum, Dräcksbüebli“. Das war zu der Zeit, als ich gerade unter einer Schreibblockade litt, kein Text wollte mir gelingen, ich war so leer und löchrig wie dieser riesige Textilabfallhaufen, den ich abholte und der kein Abfall sein sollte. Das war so um 2019.

 

Das einzige, was ich noch schreiben konnte, was ich schon jahrelang mache, sind sogenannte Tarnsätze, Pseudoweisheiten, die so klingen, als könnten sie wahr sein, sinnvoll und hilfreich. Das wiederum hab ich von dem Autoren Wolfgang Herrndorf, der eine Zeitlang die „Weisheiten der Fulbe“ sammelte, und sie als Motti den Kapiteln seines Abenteuerromans „Sand“ voranstellte, erfundene Redensarten eines Hirtenvolks im westafrikanischen Nigeria. Von Herrndorf gibt es nur eine Handvoll dieser Sätze, von mir tausende, jeden Tag muss ich ein paar schreiben, um mich meiner Existenz zu versichern, und das begann ziemlich zeitgleich mit dem Veröden meiner Schreibenergie. Diese Sätze kommen aus meinem Unterbewusstsein wie metaphysische Ameisen, nicht ich suche sie, sie finden mich, das Tagebuch eines Unter-Ichs, dem ich von Anfang an die Kontrolle übergeben habe.

 

Ich nähte mit der Nähmaschine die Abfälle Spoerris zusammen und stickte auf sie ein paar meiner Tarnsätze, die Nähmaschine wurde meine Schreibmaschine. Und auch hier, wie bei den Sätzen, gab ich die Kontrolle ab, indem ich bei der Maschine das Führungsfüßchen oben ließ, dass die Maschine oft ratlos und orientierungslos die Buchstaben, Worte und Sätze stickte, ich sah nur zu, wie die Nadel mitunter abbrach und sich Verzweiflungsknoten bildeten. Und wie sich das Unterbewusstsein, aus dem meine Sätze zuvor geronnen waren und von mir aufgefangen wurden, mit den Hilflosigkeiten der Nähmaschine verbanden, ich spielte da nur die dritte Rolle des Sammlers, des distanzierten Aufpassers und misstrauischen Beobachters. (Tex Rubinowitz)

EXHIBITION REVIEW

​11.10.-4.11.2023

Tex Rubinowitz
STICKSTOFF

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